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Digitalisierung des Gesundheitswesens zum Nulltarif

Weinheim, 22.02.2017

Im Rahmen der Einführung des Bundeseinheitlichen Medikationsplanes (BMP) gemäß §31a SGB V und der derzeit laufenden Endverhandlungen zum GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AM-VSG) übt die KBV massive Kritik an der Praxissoftwarebranche und fordert zugleich das Recht beim BMG ein, selbst als Praxissoftwareanbieter aktiv werden zu können.

Die KBV hat für die zusätzlichen Aufwendungen, die den Praxen durch die Erstellung des BMP entstehen, mit den Kassen eine Finanzierungsvereinbarung über jährlich ca. 163 Mio. Euro Zusatzhonorar getroffen. Die Meinungen in der Ärzteschaft über die Ergebnisse dieser Verhandlungen sind geteilt: Sie reichen von „angemessener Vergütung“ bis hin zum wütenden „Arzt wird zum 1-Euro-Jobber“. Grundsätzlich jedoch besteht Einigkeit: Mehrleistung begründet den Anspruch auf Mehrvergütung außerhalb vereinbarter Pauschalen. Die KBV fordert aber von der Softwareindustrie die kostenfreie Umsetzung dieser und in Zukunft notwendige Funktionen und Module.

Es ist interessant zu beobachten, wie die KBV den unvermeidlichen Aufwand für eine eigene Softwarelösung, die sie zum Nulltarif an ihre Vertragsärzte abgeben will, finanziert. Eine Erhöhung der KV-Verwaltungskosten zur Abdeckung der Entwicklungs- und Pflegekosten ist dann unvermeidlich.

Digitalisierung ist nicht  zum  Nulltarif  zu  haben:  Auch  digitale  Produkte  müssen konzipiert, entwickelt, installiert, konfiguriert, geschult und laufend gepflegt und betreut werden. Dafür aber braucht es erfahrene und kompetente Fachleute, die zu Recht eine angemessene Vergütung dafür erwarten. Das implizite Versprechen der KBV, man werde die Digitalisierung der ambulanten Versorgung „kostenlos“ meistern, vorausgesetzt man bekäme das Recht für KV-eigene Software, ist in seinen Zielen durchsichtig und unhaltbar.

Unbeantwortet wären in diesem Fall weitere vielzählige Fragen – so z.B. die Frage, mit welcher Software die Praxen dann ihre Selektivvertrags-, Privat-, Selbstzahler- und berufsgenossenschaftlich zu behandelnden Patienten dokumentieren und abrechnen?

Die letzten Jahre haben auch gezeigt, dass große Summen der GKV Mitglieder in weitgehend nicht erfolgreiche Projekte gesteckt werden. Die bereits von Ulla Schmidt 2003 geplante schöne neue E-Health-Welt hat bisher rund 1,2 Milliarden € und damit rund 8.000 € pro Praxis und Apotheke verschlungen – ohne sichtbare Ergebnisse. Ursprünglich sollte das Gesamtprojekt 1,4 Milliarden € kosten. Jetzt werden sich die Kosten vervielfachen. Was gab es nicht alles für Pläne für die Elektronische Gesundheitskarte (eGK). Mit ihr sollte die Digitalisierung im Gesundheitswesen bereits 2006 Einzug erhalten. Alles sollte besser werden: schneller, transparenter und vor allem günstiger. Doch passiert ist bisher, nach 14 Jahren Projektdauer, wenig.

Und trotzdem vergeht derzeit kein Tag, in dem nicht auch die ärztlichen Vertreter die konsequente Digitalisierung des Gesundheitswesens fordern. Das KV-System ist hier mit dem KV-SafeNet und dem KV-Connect-Standard gestartet und hat – im Übrigen gemeinsam mit der Praxissoftwarebranche – bereits heute einiges erreicht. Aber immer noch werden die alt ehrwürdigen Faxe bei der Übermittlung von Arztbriefen besser bezahlt, als online signierte und verkryptete Arztbriefe. Mit derartigen Entscheidungen werden Ärzte mit Sicherheit nicht für die Digitalisierung begeistert und können nicht in die Digitalisierung investieren.

Die Ärzteschaft erwartet zu Recht zuverlässige Programme, deren stabiles,  schnelles  und  rechtskonformes Funktionieren immer mehr eine unverzichtbare Bedingung für einen reibungslosen Praxisbetrieb ist. Dies sicher zu stellen ist auch und gerade bei der Vielzahl, Komplexität und Kurzfristigkeit der KBV-Vorgaben ein immer aufwändigeres Verfahren. Möglich jedoch ist diese Sicherstellung nur, sofern die dafür benötigten erfahrenen und qualifizierten Mitarbeiter der Softwareindustrie angemessen bezahlt, moderne Arbeitsumgebungen bereitgestellt und Investitionen in neue Entwicklungen getätigt werden können.

Leider gibt es Praxissoftwareanbieter, die nicht immer marktgerechte Preise fordern. Aber hier ist es wie in der Verschreibung. Allein die Dosis macht das Gift.

Aber die Wettbewerbsmechanismen eines Marktes von 150 von der KBV zertifizierten Anbietern funktionieren. Die Ärzte sind kluge Kaufleute und erkennen recht genau, wenn einer ihrer Dienstleister – egal, ob Softwarehaus, Lieferant, Medizintechnikservice, Abrechnungsdienstleister etc. – nicht marktgerechte Preise fordert.  Rund 5.000 Praxen wechseln im Jahr ihren Anbieter.

Quelle:

www.aerztezeitung.de

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